Imogen Dalmann & Martin Soder

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Risiken und Gefahren in der Yoga-Praxis

Kein König und keine Königin mehr?

Seit der Westen sich für Yoga begeisterte, galten Sie als König und Königin der Asanas: Kopfstand und Schulterstand. Wir wissen heute, dass beide Übungen erhebliche Risiken bergen und bei manchen Yogübenden bleibende Schäden hinterlassen haben. So richtig in Gang kam die Diskussion über beide Übungen, als ein großes Yogastudio mit diesem Plakat überraschte:  

Bitte nehmt in unserem Studio Abstand von der Praxis des Kopfstands und Schulterstands – das Management.

Darauf nimmt Matthew Remsky, ein kanadischer Yogalehrer, lange Jahre trainiert in Iyengar-Yoga, auf seinem viel gelesenen Blog Bezug. Sein Beitrag wurde übernommen vom Blog eines bekannten Yoga-Internetportals YogaInternational – Living Tradition, Modern Life.
Hier sein Beitrag (wörtliche Übersetzung eingefärbt), den uns Matthew Remsky großzügig zur Verfügung gestellt hat:

Matthew Remsky  „Leena Miller Cressmann, meine Kollegin aus Ontario, hat kürzlich eine Erklärung dazu auf ihrer Facebook-Seite gepostet, warum in ihrem Studio kein Kopfstand und kein Schulterstand gelehrt werden, und warum sie einen – manche würden sagen radikalen - Schritt weiter gegangen ist und alle in ihrem Studio Übenden auffordert, diese Haltungen dort auch außerhalb des Unterrichts nicht zu üben. Ihr Argumente sind diese:

  1. Die oft übermäßig gepriesenen Gesundheitsvorteile, die der "König und die Königin" der Âsanas bewirken sollen, sind nicht ausreichend durch die medizinische Literatur belegt.
  2. Die meisten NordamerikanerInnen bringen Vor-Schädigungen der Halswirbelsäule mit, was das Risiko erhöht, Gewicht darauf zu geben.
  3. Cressmanns persönliche Erfahrungen mit Schmerzen in Zusammenhang mit diesen Haltungen haben sie überzeugt, dass selbst ein hohes Yogatrainings-Niveau (verglichen mit der allgemeinen Norm), sie und ihr Team nicht in die Lage versetzt hat, den Gesundheitszustand der Wirbelsäule ihrer KlientInnen angemessen einzuschätzen, oder die Wirkungen dieser Haltungen abschätzen zu können, wenn sie über längere Zeit praktiziert werden.
  4. Wenn die Haltungen nicht mehr in den Yogagruppen unterrichtet werden, kann sie und ihr Team nicht sicher sein, dass TeilnehmerInnen, die sie vor, während oder nach dem Unterricht spontan selbst praktizieren, überhaupt Yoga-geübt sind.
  5. Der Vorzeige-Effekt der Umkehrpositionen kann andere TeilnehmerInnen entweder ängstigen oder sie ermutigen, diese Haltungen ohne professionelle Begleitung zu versuchen.

Cressmanns Botschaft wurde von ihrem Yoga-Kreis gut aufgenommen. Über diesen hinaus jedoch traf sie einen "spinalen Nerv" – um es einmal salopp auszudrücken, und die Auseinandersetzung offenbarte scharfe Differenzen unter den Yoga-KollegInnen bezüglich Ansichten, Herangehensweisen und – am wichtigsten – gültigem Wissen.

Begründete Bedenken gegen die Praxis von Haltungen wie der Kopfstand sind nichts Neues. Kein Geringerer als Dr. Timothy McCall, der medizinische Herausgeber des Yoga Journal, hat darauf hingewiesen, dass Kopfstand »zu gefährlich ist für den allgemeinen Yogaunterricht«. Wie Cressman, basiert McCalls Sicht der Dinge auf persönlicher Erfahrung. Er nennt den Kopfstand als einen möglichen Faktor für sein eigenes »Thoracic outlet Syndrom«, einen Zustand, in dem in periodischen Abständen Schmerzen in Arme und Hände einschießen, dies auf dem Hintergrund einer neurovaskulären Kompression des Schultergürtels, (d.h. Nerven und Gefäße werden zusammengedrückt. Unter dem Begriff Thoracic-outlet-Syndrom versteht man Beschwerden, die an der oberen Brustkorböffnung- thoracic outlet-  entstehen und Symptome in Schultern und Armen verursachen wie Schmerzen, Taubheitsgefühle, Missempfindungen und motorische Schwäche. Die Betroffenen fühlen sich in ihrer Lebensqualität zum Teil schwer beeinträchtigt und in ihrer Alltagsfunktion behindert.)

Bei eigenen Recherchen in meinem WAWADIA-Projekt (M. Remsky hat eine Plattform gegründet »What We Are Acually Doing In Âsanas«, auf der jedeR Yogaübende seine persönlichen …

… Erfahrungen mit Yogaüben darstellen kann. Der Schwerpunkt des Interesses liegt dabei, herauszufinden, wie Übende ihre Erfahrungen mit schädlichen Wirkungen ihres Übens reflektieren) habe ich mit mehreren medizinischen Profis gesprochen, die McCalls Einschätzung teilen und Zweifel in zwei Richtungen hin ausdrücken: Sie stellen in Frage, ob überhaupt ein gesundheitlicher Vorteil darin zu finden sei, die Halswirbelsäule mehr als das Gewicht des Kopfes tragen zu lassen. Und sie fragen sich, wie auch Cressman, danach, wie viele Leute überhaupt über die erforderliche Fähigkeit, das nötige Training und die Achtsamkeit verfügen, Umkehrpositionen sicher auszuführen.
Auf der anderen Seite einer wachsenden kulturellen Kluft stehen diejenigen Übenden mit langer Yogaerfahrung, die behaupten, dass die besagten Haltungen nicht nur wesentlich für die persönliche Entwicklung seien, sondern auch absolut sicher, wenn die richtigen Anleitungen gegeben würden und die nötige Achtsamkeit vorhanden sei. Nimmt man dies alles zusammen, so zeigt sich hier das ganze Spektrum einer heiklen, unlösbaren Debatte: Ist die Position in sich gesund (oder gefährlich), oder ist es gesund (oder gefährlich) nur je nachdem wie sie geübt wird? ...

Im Fall der Umkehrposition-Debatte könnte aus meiner Sicht noch eine dritte Möglichkeit darin bestehen, die Haltung als kulturelles Produkt zu untersuchen. D.h. sie also weder definiert über die Aussagen von Gurus oder Orthopädie-Größen zu betrachten, sondern über die Art und Weise, wie sie von den meisten Übenden praktiziert wird. Wenn man von diesem Blickwinkel darauf schaut, könnte man vermeiden, die idealistische Position (»diese Haltungen sind eigentlich sicher«) zum Gegenspieler der pragmatischen (»es ist schwer, sie sicher zu üben«) zu machen.
Nehmen wir mal an, es gäbe sichere Methoden, diese Umkehrhaltungen zu üben, aber nur wenige Übende, die zu diesen Methoden Zugang hätten oder über die Fähigkeiten dazu verfügten. Wenn die Umkehrposition eher ein kulturelles Ergebnis als eine ideale Form wären, die Übende anstreben sollten – was hilft es dann zu sagen, dass wer es versucht und sich verletzt, »es nur falsch gemacht« hat? Und was wäre mit den Übenden, die sicher waren, gute und passende Anweisungen erhalten zu haben – aus »Light on Yoga« von Iyengar, z.B., wo Iyengar dazu rät, im »Kopfstand (solle) das volle Gewicht des Körpers allein vom Kopf  getragen werden« und die Jahre später an chronischen Nackenschmerzen leiden?“

In der Folge lässt M. Remsky in seinem Blog eine Reihe von KollegInnen zu Wort kommen, die er im Rahmen seiner oben genannten Recherchen befragt hatte. Die Aussagen sind sehr kontrovers und reichen von großer Zustimmung bis zur völliger Ablehnung (mit unterschiedlichen Begründungen) und einigen enthusiastischen Berichten darüber wie gut der Kopfstand und der Schulterstand jemandem getan und  sie in ihrem/seinem Leben voran gebracht haben. Eine Argumentation ist ebenfalls sehr interessant. Sie stammt von Jill Miller, die die »Yoga Tuneup« – Richtung ins Leben gerufen hat, eine der vielen US-amerikanischen Yoga-Kreationen. Sie weist darauf hin, dass, selbst wenn  wir von der Existenz sicherer Anweisungen ausgehen, die sich mit Achtsamkeit und intelligentem Üben verbinden, das Üben jener Haltungen die Risiken nicht wert sein könnten. Und fährt fort:

„Nur weil man die Haltung machen kann, heißt das nicht automatisch, dass man sie auch machen sollte ... Ich bin eine der glücklich-unglücklichen Übenden, die so beweglich in Schultern und Nacken sind und genügend Kraft im Oberkörper haben, dass ich »sicher« in diese Positionen gehen kann. Ich tue es aber nicht. Man hat nur 7 Halswirbel und die entsprechenden Bandscheiben in diesem Leben. Man hat nur ein hinteres Wirbelsäulen-Längsband und je mehr man es dauernd überdehnt durch den Druck und die Position, die Schulterstand oder Pflug verlangen, umso mehr Schaden richtet man in den weichen Geweben der Körperrückseite an. ... sie können die festen Strukturen nicht mehr richtig zusam­menhalten ... und die Muskeln werden im Resultat überbeansprucht.... Wir sollten ehrlich sein: Selbst wenn ein Mensch die Beweglichkeit für diese Haltungen hat, wissen wir nicht, welches die »Minimal- oder die Maximal-Dosis« für die Gesundheit der Muskeln und Knochen in diesen Körperhaltungen sind.“

Remsky bringt nach der Darstellung dieser breiten Diskussion noch einmal eigene Gedanken ins Spiel: Da geht es um den Show-Effekt, den diese Haltungen erlauben – sicher wird jemand, der einen Drehung auf dem Hocker geübt hat, zu Hause angekommen nicht sagen »Whow, ich habe heute auf dem Hocker gesessen und mich gedreht«. Warum? Weil er nur ein fragendes Lächeln von anderen ernten würde: Hätte er oder sie den Kopfstand geübt, käme das sicher völlig anders an.
Und er schließt seinen Blog mit einem interessanten Hinweis, dass nämlich

„Cressmans Facebook-Botschaft eine Meditation über die Fragen unserer Kindheit in Gang setzen kann, die wahrscheinlich uns alle auf die Yogareise gebracht haben: Was ist das? Wie mache ich es? Warum? Wer wird es mir zeigen? Wie kann ich je sicher sein? Diese Art von Fragen und Diskussionen darüber ist es, die uns weiterbringen kann, wenn wir es denn wollen.“